Weltraum„Der Mond ist wieder aktuell“: ESA-Chef Aschbacher über den neuen Wettlauf ins All

Weltraum / „Der Mond ist wieder aktuell“: ESA-Chef Aschbacher über den neuen Wettlauf ins All
Partner bei der Erforschung des Weltraums: ESA-Direktor Josef Aschbacher und Wirtschaftsminister Lex Delles Foto: MECO

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Seit drei Jahren ist Josef Aschbacher Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation (ESA). Im Interview mit dem Tageblatt spricht er über eine Neuauflage der Propaganda-Rennen ins Weltall in einer geopolitisch veränderten Welt – und den Beitrag, den Luxemburg zur Erforschung des Weltraums leistet.

Tageblatt: Herr Aschbacher, welche Rolle spielt Luxemburg im Weltraum?

Josef Aschbacher: Luxemburg ist extrem stark, wenn es um Weltraumressourcen geht. Es gibt Esric (das Europäische Innovationszentrum für Weltraumressourcen, Anm. d. Red.), eine Institution, die das Großherzogtum geschaffen hat – mit der Unterstützung von ESA. Dort führt Luxemburg die Welt an, in der Forschung und den Aktivitäten. Seit den 80er- und 90er-Jahren ist Luxemburg auch führend in der Satelliten- und Telekommunikation. Als ESA arbeiten wir sehr eng mit luxemburgischen Firmen wie SES zusammen. Luxemburg investiert auch in anderen Sektoren, in die Weltraumerkundung im Allgemeinen, aber auch in die Erdbeobachtung, Navigation und andere Disziplinen.

Wenn wir unsere Investitionen nicht beibehalten, wird Europa aus dem Rennen geworfen

Die geopolitische Situation hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert, neue Blöcke bilden sich heraus. Hat das Auswirkungen auf das Weltall?

Wir sind sicherlich in einem neuen „space race“, einem Wettlauf ins All. Andere nennen es eine Weltraumrevolution oder -renaissance. In den 60ern gab es das erste „space race“, den Wettlauf zum Mond, zwischen den USA und der Sowjetunion. Heute haben wir eine ähnliche Dynamik – aber mit viel mehr beteiligten Nationen. Die USA und Russland sind natürlich noch mit dabei, aber auch China ist extrem stark, investiert sehr viel in Weltraumtechnik. Es gibt Indien, Japan, die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien. Europa ist klassischerweise stark, aber wenn wir unsere Investitionen nicht beibehalten, werden wir aus dem Rennen geworfen. Und das ist etwas, das sich Europa nicht leisten kann. Wir sind jeden Tag von Raumfahrttechnologie abhängig: von der Wettervorhersage über Telekommunikation bis zur Navigation. Unsere Weltraumforschung und -technologie ist der Antrieb, der den Kontinent weiterbringt. Der Weltraum ist essenziell. Geopolitisch, wirtschaftlich, strategisch – aber auch um Arbeitskräfte in Europa zu halten.

Was sind die größten Herausforderungen, vor denen die ESA in diesem Jahr steht?

Der erste Start der Trägerrakete Ariane 6 von unserem Raumhafen bei Kourou in Französisch-Guyana. Wir haben ein Zeitfenster von Mitte Juni bis Ende Juli und sind auf einem guten Weg. Das wird ein großer Meilenstein für ESA und Europa. Wir haben dieses Jahr insgesamt acht Satellitenstarts, das ist wesentlich mehr als in anderen Jahren. Ein „busy year“ für die ESA. Eines der Highlights ist Hera, ein Satellit, der zu dem Asteroidenpaar Didymos und Dimorphos fliegen wird. Auf Hera fliegt auch ein luxemburgischer Satellit mit, ein CubeSat, der unser Technologie-Juwel ist. Er hat ein Radarinstrument an Bord und wird unter die Oberfläche des Asteroiden schauen, um zu verstehen, wie er aufgebaut ist (mehr dazu demnächst im Tageblatt, Anm. d. Red.). Der Gedanke dahinter: Sollte ein Asteroid auf die Erde zufliegen und unsere Existenz bedrohen, was könnte man als Weltraumagentur tun?

Dabei geht es also nicht um Ressourcen, sondern um Verteidigung?

Genau. Es geht um den Schutz unseres Planeten vor Objekten aus dem Universum. Wir nennen das Planetary Defense. Es gibt einen Asteroiden, der sehr nahe auf die Erde zukommen wird, das wird ein Freitag, der 13. sein, im April 2029. Apophis, so nennt sich der Asteroid, wird nahe an die Erde kommen, innerhalb des Gürtels, in dem die geostationären Satelliten arbeiten, also unter 35.800 Kilometer Höhe. Das ist natürlich etwas, das ungewöhnlich ist. Unsere Vorhersagen sind ziemlich sicher, dass er nicht auf die Erde treffen, aber knapp an ihr vorbeischießen wird. Es ist wichtig, zu lernen, wie wir solche Asteroiden beeinflussen können. Deshalb ist die Hera-Mission so bedeutend, um Asteroiden zu verstehen.

In ihrem Labor in Nordwijk testet die ESA auch Marsroboter
In ihrem Labor in Nordwijk testet die ESA auch Marsroboter Foto: Editpress/Julian Dörr

Wird der erste bemannte Flug zum Mars auch zu einem großen Propaganda-Ziel der unterschiedlichen Mächte werden – wie einst der Mond im Kalten Krieg?

Der Mars wird sicher einen weiteren Propaganda-Krieg, ein weiteres Rennen verursachen. Heute ist die Technologie noch nicht so weit, dass wir Menschen auf den Mars schicken können. Wir vermuten derzeit, dass Astronautenflüge zum Mars irgendwann in den späten 40er-Jahren stattfinden könnten. Allerdings müssen vorher noch technische Hürden bewältigt werden. Zum einen ist das der Schutz der Astronauten vor kosmischer Strahlung. Zum anderen die Reisedauer. Derzeit dauert ein Flug zum Mars etwa sechs bis acht Monate. Dann müssen die Astronauten auch wieder zurückfliegen, also mehr als ein Jahr Reisezeit plus der Aufenthalt auf dem Mars. Basierend auf der Konfiguration kann das auch wieder einige Wochen oder Monate dauern. Eine Mission dauert also knapp zwei Jahre. Das ist derzeit zu lang, um der Strahlung ausgesetzt zu sein. Wir forschen an vielen logistischen Dingen wie Sauerstoff und Nahrung, aber auch an der psychologischen Betreuung.

Es gibt also realistischere Ziele als den Mars für die Weltraumbemühungen der Länder?

Der Mars ist noch weit weg, aber was sicher derzeit stattfindet, ist das nächste Rennen zum Mond. Weltweit werden etwa 200 Missionen vorbereitet – von ganz kleinen Rover-Missionen bis zum Aufbau von Mondbasen. Europa ist stark beteiligt, wir haben einige Missionen, die um und auf dem Mond geplant sind. Argonaut und Moonlight sind da zwei große Beispiele. Wir sind aber auch sehr stark am Artemis-Programm der NASA beteiligt. Der Mond ist wieder aktuell. Sehr viele Nationen interessieren sich für ihn.

Sind unter diesen 200 Missionen auch kommerzielle Missionen?

Das ist eine Mischung aus öffentlich finanzierten und kommerziellen Missionen. Es gibt einige kommerzielle Firmen, die Missionen bereits gestartet haben. Einige haben versucht, zu landen – nicht immer erfolgreich.

Sind diese Missionen eine Bereicherung für den Weltraumsektor?

Absolut. Das fördert die Entwicklung. Auch wenn man nicht immer Erfolg hat, man gewinnt Erfahrung. Es gibt Trial-and-Error, aber das ist gut. Da zeigt sich auch das Zusammenspiel zwischen großen Organisationen wie der NASA und der ESA. Wir müssen den Rahmen schaffen, die große Infrastruktur aufbauen. Darauf können sich dann kommerzielle Missionen stützen, die ihre Geschäftsfelder entwickeln und auch Geschäfte machen wollen. Das ist durchaus in unserem Sinne.

Frauen im Weltraum

„Wir sind sehr daran interessiert, den Anteil der weiblichen Beschäftigten bei der ESA zu erhöhen“, sagt Josef Aschbacher. In den vergangenen drei Jahren habe sich dieser von 25 auf 31 Prozent erhöht. „Im letzten Jahr waren 41 Prozent der neuen Mitarbeiter Frauen“, so der Generaldirektor der ESA. Man achte bei der Weltraumagentur auf gleiche Bezahlung sowie Gleichberechtigung und Diversität in den Teams. Wie viele andere Arbeitgeber vor allem technischer Berufe sieht sich die ESA mit Genderstereotypen in der breiten Gesellschaft konfrontiert. Doch das ändert sich langsam. Frauen werden sichtbarer, junge Mädchen finden immer mehr Vorbilder. Eine, die in diesem Bereich besonders aktiv ist, ist Samantha Cristoforetti. Die italienische ESA-Astronautin war die erste europäische Kommandantin der ISS – und besitzt eine eigene Barbiepuppe, die nach ihrem Vorbild gestaltet wurde.