WahlenEuropas Lockruf zieht in Nordmazedonien nicht mehr

Wahlen / Europas Lockruf zieht in Nordmazedonien nicht mehr
Der Vorsitzende der sozialdemokratischen SDSM und einstiger nordmazedonischer Regierungschef Dimitar Kovacevski während einer Wahlkampfveranstaltung Foto: AFP/Robert Atanasovski

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Nordmazedonien steht vor einem Machtwechsel. Bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen gilt der Sieg der nationalpopulistischen VMRO als sicher. Die absehbare Abwahl der proeuropäischen Regierung haben sich auch die EU-Partner zuzuschreiben, die Skopje jahrelang eher behindert als geholfen haben.

Trotzig kämpft der chancenlose Stimmenjäger auf einsamem Posten. Pflichtschuldiger Beifall der rund 300 Schaulustigen erschallt, als Nordmazedoniens einstiger Premier Dimitar Kovacevski in der Hauptstadt Skopje im weißen Hemd zur Redner-Bühne an einer Straßenecke im Stadtteil Aerodrom schreitet.

Seine sozialdemokratische SDSM sei die „einzige politische Kraft“, die den Vielvölkerstaat „in die EU führen“ könne, so die Botschaft des 49-jährigen Ökonomen: „Wir geben die EU nicht auf, weil wir wissen, dass sie einen höheren Lebensstandard, einen effektiveren Kampf gegen Kriminalität und Korruption sowie bessere Bildung bieten wird.“

Bei seinen ermatteten Landsleuten im EU-Dauerwartesaal findet der SDSM-Chef mit seinen europäischen Verheißungen nur noch begrenztes Gehör. Bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am Mittwoch muss die seit 2017 regierende SDSM nicht nur die Verbannung in die Opposition, sondern auch die Abwahl des von ihr unterstützten Staatschefs Stevo Pendarovski fürchten.

Wir geben die EU nicht auf, weil wir wissen, dass sie einen höheren Lebensstandard, einen effektiveren Kampf gegen Kriminalität und Korruption sowie bessere Bildung bieten wird

Dimitar Kovacevski, nordmazedonischer Premierminister

Bei der ersten Runde der Präsidentschaftskür kam der 61-jährige Amtsinhaber mit 19,92 Prozent nicht einmal auf die Hälfte der Stimmen seiner von der nationalpopulistischen VMRO-DMPNE unterstützten Konkurrentin Gordana Siljnovska-Davkova. Für die erwartete Schlappe der SDSM bei den Superwahlen in dem 1,8 Millionen Menschen zählenden Vielvölkerstaat nennt der Analyst Sefer Selimi in Skopje einen „Mix von Gründen“.

Einerseits habe die SDSM die Erwartung ihrer Wähler vor allem bei der Bekämpfung der Korruption und der Schaffung rechtsstaatlicher Verhältnisse „einfach enttäuscht“. Andererseits sei die von ihr gelobte Annäherung an die EU ausgeblieben: „Die EU hätte viel mehr tun können, um die Integration von Nordmazedonien rechtzeitig auf den Weg zu bringen und zu beschleunigen.“ Die Vetos und ständige Verzögerung des Beitrittsprozesses hätten die „EU-Zustimmung vermindert“ und seien „Wasser auf die Mühlen“ des Narrativs nationalistischer Kräfte, dass „die EU uns im Grunde nicht will“.

Der Vorsitzende der größten Oppositionspartei VMRO DPMNE, Hristijan Mickoski (l.) und die von ihm unterstützte Präsidentschaftskandidatin Gordana Siljanovska Davkova (r.) während einer Wahlkampfveranstaltung in Shtip 
Der Vorsitzende der größten Oppositionspartei VMRO DPMNE, Hristijan Mickoski (l.) und die von ihm unterstützte Präsidentschaftskandidatin Gordana Siljanovska Davkova (r.) während einer Wahlkampfveranstaltung in Shtip  Foto: AFP/Robert Atanasovski

Tatsächlich hat die EU ihren kooperationswilligen Anwärter jahrelang im Regen stehen lassen. Erst war es Griechenland, das die EU-Integration der Nachbarn wegen des missliebigen Landesnamen „Mazedonien“ blockierte. Nach der von Athen 2019 erzwungenen Umbenennung gelang es Nordmazedonien zwar, der NATO beizutreten. Doch die gelobte EU-Belohnung für die demonstrierte Kompromissbereitschaft ist ausgeblieben.

Im Juni 2019 war es zunächst die deutsche CDU/CSU, die einen Aufschub des Auftakts der EU-Beitrittsverhandlungen erwirkte. Im Herbst 2019 waren es Frankreich und die Niederlande, die aus innenpolitischen Gründen gemeinsam auf die Veto-Bremse traten. Ein Jahr später übernahm Bulgarien die Rolle des Erweiterungsbremsers. Da Skopje für Sofias Forderung nach einer weiteren Verfassungsänderung zu Gunsten der bulgarischen Forderung bisher keine Zweidrittelmehrheit stemmen konnte, hat der offiziell 2023 eröffnete Beitrittsmarathon faktisch noch immer nicht begonnen.

Enge Bande zu Ungarns Fidesz-Partei

Die seit dem Sturz ihres früheren Skandalpremiers Nikola Gruevski 2016 in die Opposition verbannte VMRO-DMPNE verspürt wieder Oberwasser. Rauchfackeln tauchen das Nationalfahnenmeer im Zentrum von Bitola in ein rotes Licht. Zu den martialischen Klängen der Parteihymne schreitet VMRO-Chef Hristijan Mickoski zur Rednertribüne. „Mazedonien wird wieder frei sein!“, verkündet der 46-Jährige seinen jubelnden Anhängern.

Obwohl die bisherige Oppositionspartei ihrem früheren, sich 2018 als „politischer Flüchtling“ nach Ungarn abgesetzten Ex-Vormann Gruevski den zunächst verliehenen Titel des Ehrenvorsitzenden 2020 wieder aberkannt hatte, kann von einer Erneuerung der VMRO-DPMNE laut Analyst Selimi keinerlei Rede sein. Der Großteil der heutigen Parteiführung habe schon unter Gruevski Karriere gemacht. Die engen Bande zu Ungarns Fidesz-Partei hätten sich in den letzten Jahren noch verstärkt: Selbst im VMRO-Wahlkampf sollen PR-Berater aus Budapest Regie geführt haben.

Die hart kritisierte Umbenennung des Landesnamens wird die VMRO-DPMNE auch mit Rücksicht auf den nötigen albanischen Koalitionspartner zwar nicht rückgängig machen. Außenpolitisch dürfte sich VMRO-Chef Mickoski laut Selimi allerdings am „serbischen Modell“ des mit ihm befreundeten Präsidenten Aleksandar Vucic orientieren: Er werde sich zwar offiziell zum Ziel der EU-Mitgliedschaft bekennen, „aber er wird nichts tun, dass dieses im echten Leben auch erreicht wird“.

Obwohl ein klarer Wahlsieg der VMRO unter den Wählern der ethnischen Mazedonier als ausgemacht gilt, rechnet Selimi angesichts des verschärften Stimmenstreits um die albanischen Wähler nach dem Urnengang mit einem „großen Chaos“ und einer mühsamen Regierungsbildung: Selbst erneute Neuwahlen seien nicht gänzlich auszuschließen.

„Mit jeder Menge Spannungen“ zu rechnen

Der bislang mit der SDSM regierenden Albaner-Partei DUI steht mit Vlen erstmals ein breites Bündnis der wichtigsten oppositionellen Minderheitsparteien gegenüber. Zwar hat sich die VMRO bereits früh auf Vlen als potenziellen Koalitionspartner festgelegt. Doch da der DUI-Kandidat in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl unerwartet deutlich vor dem Vlen-Konkurrenten lag, wird die DUI vermutlich auch künftig die größte albanische Fraktion stellen. Falls die VMRO bei der Regierungsbildung aber die stärkste Albaner-Partei übergehen sollte, sei in Nordmazedonien „mit jeder Menge Spannungen und instabilen Zeiten“ zu rechnen, orakelt Selimi.

Alle albanischen Parteien würden die Zustimmung zu der von der VMRO bisher zurückgewiesenen Verfassungsänderung zu Gunsten der bulgarischen Minderheit zur Bedingung eines Regierungseintritts machen, verweist Selimi auf ein weiteres Hindernis beim Koalitionspoker. Er glaube zwar nicht, dass die VMRO alle ihrer nationalistischen Forderungen umzusetzen versuche: „Wahlkampf ist das eine, Regieren das andere.“ Doch es könnte in der künftigen Koalition „mehr nationalistische Töne und damit mehr ethnische Spannungen“ geben: „Ein Déjà-vu von dem, was wir zwischen 2006 und 2016 unter Gruevski erlebten, ist nicht ausgeschlossen.“